Kreuze verstoßen gegen die staatliche Neutralitätspflicht, bleiben aber trotzdem hängen

Karikatur von Jacques Tilly - Copyright Giordano-Bruno-Stiftung
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Seit dem 6. Juni 2022 ist bekannt, dass der Kreuzerlass von Ministerpräsident Söder aus Sicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) rechtens ist und die Kreuze in bayerischen Behörden weiter hängen dürfen. Nach drei Monaten (!) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) dann auch mal die Begründung veröffentlicht, warum er die Klagen des Bundes für Geistesfreiheit (bfg) München und Bayern sowie von 25 Einzelpersonen abgewiesen hat. Gleichzeitig hat er die Revision zum Bundesverwaltungsgericht für den bfg München und den bfg Bayern zugelassen. Beide Körperschaften des öffentlichen Rechts halten an ihrer Klage fest und werden den Klageweg bis zum Bundesverfassungsgericht weiterverfolgen.
 
Zur Erinnerung: In der Allgemeine Geschäftsordnung (AGO) für die Behörden des Freistaates Bayern steht in § 28: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“

In der Urteilsbegründung wird das Gericht zunächst recht deutlich. "Die Anbringung von gut sichtbaren Kreuzen im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes verstößt gegen die Pflicht zur weltanschaulich-religiösen Neutralität", heißt es. Und weiter: "Das Kreuz ist ein Symbol christlicher Religion und kann nicht isoliert nur als Symbol der geschichtlichen und kulturellen Prägung verstanden werden."
Außerdem stellt das Gericht fest, dass der Kreuzerlass "eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des christlichen Symbols" sei. Alles klar möchte man da meinen, die Kreuze müssen wieder weg.

Dann aber argumentiert das Gericht in die andere Richtung: "Ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität, der sich in einer bloß passiven Verwendung eines religiösen Symbols ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung erschöpft und mit keinen weiteren Nachteilen für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften verbunden ist, verletzt weder deren Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit noch auf Gleichbehandlung." Die Besucher*innen von Behörden seien ja im Eingangsbereich nur flüchtig mit dem Kreuz konfrontiert, teilen die Richter*innen mit.
 
Assunta Tammelleo, Vorsitzende des bfg München, wundert sich darüber nicht all zu sehr: "Der VGH musste wohl irgendeine Begründung dafür finden, dass dieses Verfahren – wie schon vor Jahren das Verfahren gegen das Bayerische Feiertagsgesetz (Tanzverbot) – in jedem Fall außerhalb von Bayern weiter bearbeitet werden muss! Auf dass andere, am besten 'preußische' Richter das doch bitte richten mögen! Schließlich führt die 'unser’ne Partei' (Biermösl Blosn) jetzt dann bald Wahlkampf. Ein christliches Symbol ausgerechnet im Eingangsbereich einer öffentlichen Einrichtung 'gut sichtbar' (AGO §28) aufzuhängen, wo jedermann vorbei gehen muss, das kann ja gar keine andere Absicht also die vom Hohen Gericht postulierte und nun begründete zum Inhalt haben, nicht wahr?"
 
Der bfg München und der bfg Bayern sehen durch die Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen nach wie vor die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit ihrer Mitglieder verletzt. Sie fordern die Einhaltung der staatlichen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität. Ziel der Klage ist, dass die bayerische Staatsregierung dazu verpflichtet wird, den Kreuzerlass zurückzunehmen und die Kreuze zu entfernen.
 
Kreuz wird von den Bürger*innen nicht als "Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" wahrgenommen
 
Aber die bayerische Staatsregierung und Ministerpräsident Söder könnten auch jetzt schon tätig werden, findet die Vorsitzende des bfg München. "Eine Mehrheit der Bürger*innen, auch der gläubigen Christ*innen, und sogar ein großer Teil der Bischöfe lehnen den 'Kreuzerlass' ab, da könnte Herr Söder doch von sich aus den 'Kreuzerlass' zurücknehmen. Inzwischen ist ja mehr als offensichtlich, dass die Menschen das Kreuz als religiöses Symbol wahrnehmen und eben nicht als 'Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns' wie es im 'Kreuzerlass' heißt. Mit einer solchen Begründung könnte man auch die Lederhose, die Weißwurst oder die fränkische Rostbratwurst aufhängen," sagt Tammelleo.
 
Demokratischer Rechtsstaat musste gegen den Widerstand der Kirchen durchgesetzt werden
 
Tammelleo weiter: "Mussten nicht, wenn man auf die bayerische Geschichte zurückblickt, unsere heutigen Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit oder der demokratische Rechtsstaat gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen bzw. gegen das Bündnis von Thron und Altar durchgesetzt werden? Tritt nicht seit Jahrhunderten und bis heute vor allem die katholische Kirche Rechte von Frauen und LGBTIQ+ mit Füßen? Und ist die katholische Kirche heute wenigstens demokratisch verfasst? Nein, sie ist noch immer autoritär aufgestellt und Relikt einer Zeit, die man sich wirklich nicht zurückwünscht. Deswegen gehört schon sehr viel Geschichtsvergessenheit dazu, ein Kreuz in die Amtsstuben zu hängen." 
 
bfg München fordert von Ministerpräsident Söder, Artikel 1 des Grundgesetzes in staatlichen Dienststellen anzubringen
 
Deswegen unterstützt die Vorsitzende des bfg München den Vorschlag des SZ-Journalisten Dr. Heribert Prantl, der am 25. Mai im Bayerischen Rundfunk empfohlen hat, Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" in den staatlichen Dienststellen und öffentlichen Einrichtungen anzubringen.
Tammelleo: "Hinter diesen Artikel 1 des GG, der von keiner politischen Mehrheit veränderbar ist, können sich alle Menschen stellen, die auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen. Jegliches staatliches und und gesellschaftliches Handeln muss sich und sollte sich stets an Artikel 1 orientieren. Das immer wieder in öffentlichen Einrichtungen in Erinnerung zu rufen, halten wir für eine hervorragende Idee von Herrn Prantl, die wir ausdrücklich unterstützen."  
 
Erfolgreiche Klage gegen Tanzverbot an Karfreitag als Vorbild
 
Tammelleo weiter: "Falls der Ministerpräsident am 'Kreuzerlass' festhält, werden wir die Klage bis zum Bundesverfassungsgericht fortführen. Dass wir den langen Atem dazu haben, das haben wir schon beim Thema "Tanzverbot an Karfreitag" gezeigt." Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied am 7. Oktober 2016, dass Artikel 5 des Bayerischen Feiertagsgesetzes mit der Weltanschauungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar ist. Damit folgte es einer Verfassungsbeschwerde des bfg München, der sich nach dem Verbot seiner "Heidenspaß-Party" im Jahr 2007 durch alle Instanzen geklagt hatte. Seit dem Urteil der Richter*innen in Karlsruhe sind an Karfreitag Ausnahmen möglich, wenn "Heidenspaß-Partys" und ähnliche Veranstaltungen Ausdruck einer klaren weltanschaulichen Abgrenzung gegenüber dem Christentum sind.